In Afghanistan sind nun 25 der 34 Provinzhauptstädte unter Kontrolle der Taliban. Während der afghanische Präsident Ghani die erneute Mobilisierung afghanischer Sicherheitskräfte als die „höchste Priorität“ eingestuft hat, nähern sich die Taliban der Hauptstadt Kabul.

Die Taliban sind in Afghanistan weiterhin auf dem Vormarsch und nehmen das Land ein – Stadt für Stadt und meistens ohne Widerstand. 25 der 34 Provinzhauptstädte sind nun in den Händen der Taliban. Die meisten dieser Städte wurden kampflos eingenommen und garantieren in den meisten Fällen die Kontrolle über die gesamte Provinz.

Zuletzt fielen in nur einem Tag die Provinzhauptstädte Scharana (Paktika), Asadabad (Kunar), Gardez (Paktiya), Maimana (Faryab), Masar-e Scharif (Balch), Mehter Lam (Laghman) und Nili (Daikondi) in die Hände der Taliban-Kräfte. Sieben Provinzhauptstädte an nur einem Tag – ein schwerer Schlag für die Regierung in Kabul.

Ein weiterer Schlag für die Moral der Regierung von Präsident Ghani ist auch die positive Stellung des eigenen Volkes gegenüber den Eroberungen der Taliban vielerorts. In Asadabad, Hauptstadt der Provinz Kunar, wurden Panzerwagen der afghanischen Armee während ihrem Rückzug aus der Stadt auf offener Straße mit Steinen beworfen und beschimpft. Nur kurz danach zogen Taliban-Kräfte in die Stadt ein und wurden von der Bevölkerung in den selben Straßen mit offenen Armen empfangen.

Trotz Ausrüstung und wenn auch begrenzten Luftangriffen der USA können afghanische Streitkräfte keinen Widerstand gegen die Eroberungswelle der Taliban leisten und ziehen sich in Gebiete unter der Kontrolle der Regierung zurück – Gebiete, die zunehmend weniger werden. Daneben flohen hunderte Truppen auch in Nachbarländer wie den Iran und Uzbekistan, insbesondere nach der Eroberung von Masar-e Scharif.

In von afghanischen Soldaten verlassenen Gebieten übernahmen die Taliban auch Luftwaffenstützpunkte mitsamt militärischen Helikoptern. Mehrere Helikopter wurden von den Taliban in Herat und Kandahar beschlagnahmt. Tatsächlich wurden diese später von Taliban-Kämpfern geflogen, wobei als Piloten von der afghanischen Armee zur Taliban übergelaufenen Soldaten vermutet werden. Aufnahmen aus dem Gebiet zeigen wie militärische Helikopter den Luftraum über Herat und Kandahar patrouillieren, dabei auch Konvois der Taliban begleiten.

Angesichts des schnellen Vormarsches der Taliban äußerte sich der afghanische Präsident Ashraf Gani, die erneute Mobilisierung der afghanischen Streitkräfte sei ihre „höchste Priorität“ und man erwäge „ernsthafte Aktionen“. “Ich bin mir euren Sorgen über eure Zukunft bewusst, aber ich kann euch garantieren, dass ich als euer Präsident für das Verhindern von Gewalt, Instabilität und Bevölkerungsflucht arbeiten werde”, versicherte er dem afghanischen Volk in seiner ersten großen Ansprache nach dem Beginn der Taliban-Offensive.

Währenddessen verkündete Pentagon-Sprecher John Kirby den Beginn der Evakuierung aus Kabul. Demnach sollen US-Bürger, diplomatisches Personal und Immigranten mit speziellen Visum aus Kabul evakuiert werden. Man arbeite daran, Tausende Menschen pro Tag zu evakuieren und die ersten Einheiten seien bereits eingetroffen, so Kirby.

Zudem sei man „zutiefst“ besorgt über die Geschwindigkeit des Vormarsches der Taliban, In diesem Zusammenhang erließ Kirby auch eine Warnung an die Taliban. “Im Falle eines Angriffs gegen US-Truppen in Afghanistan wird die Taliban eine kraftvolle Antwort erhalten”, betonte Kirby und signalisierte auch die Fortsetzung von Luftangriffen gegen die Taliban.

Laut US-Medien haben die Vorbereitungen für eine Evakuierung der amerikanischen Botschaft in Kabul bereits begonnen. Berichten zufolge soll die Botschaft zwischen 36 und 72 Stunden evakuiert werden. Sensitive Informationen, Computer und Handys werden vom Personal der Botschaft vernichtet. Ziel ist es, der Taliban nichts Nützliches zu überlassen.

Auch US-Präsident Biden meldete sich mit einer schriftlichen Erklärung über Afghanistan zu Wort. Er erläuterte die Maßnahmen für einen sicheren Rückzug und einer sicheren Evakuierung aus Kabul. Daneben verteidigte er nochmals die Entscheidung zum Rückzug. „Wenn die afghanische Armee das eigene Land nicht schützen kann oder will, hätte eine US-Präsenz von einem Jahr mehr oder fünf Jahren mehr keinen Unterschied gemacht“, hieß es in der Erklärung.

Die „unendliche“ US-Präsenz im Bürgerkrieg eines fremden Landes sei für ihn „inakzeptabel“.